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So, 19:48 Uhr
22.01.2017
Bei der Kofferdemo in Worbis

Gründe, warum die Gebietsreform nicht notwendig ist

Es waren zwar nicht 40 000 Menschen wie vor 27 Jahren, als die große Kofferdemo als Protest Richtung Duderstadt aufbrach. Aber einige Hundert waren es schon, die ihren Protest damit festmachten, um gegen Pläne der Landesregierung zu demonstrieren. Darunter auch der Eichsfelder Landrat Dr. Werner Henning. Seine Rede möchten wir hier veröffentlichen:

Liebe Bürgerinnen und Bürger, zunächst danke ich Ihnen allen recht herzlich dafür, dass Sie heute hier her gekommen sind, um sich in eine Sache einzubringen, die Sie tatsächlich sehr unmittelbar berührt und die längst nicht in der Weise Angelegenheit der verfassten staatlichen Politik ist, wie diese uns glauben machen will. Es geht ganz schlicht um die Frage, ob wir auch weiterhin die Entwicklung unserer Gemeinden in grundsätzlichen Belangen selbst zu entscheiden haben, oder wie tief hinein uns der politische Staat hierfür Vorgaben macht.

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Wir reden also am heutigen Nachmittag auch über die kommunale Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden – aber ebenso über die der Landkreise – deren Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes ihre verfassungsrechtliche Begründung sowie mit Artikel 92 Abs. 1 der Thüringer Verfassung die für uns konkrete Ausgestaltung erfahren hat. Wir dürfen also davon ausgehen, dass unsere gegenwärtigen ganz konkreten Städte, Gemeinden und Landkreise durch die Verfassung in ihrem aktuellen Bestand geschützt sind, deren jetzige Rechtsnatur nur im Wege der Überwindung großer Hürden abänderbar ist.

Möglich ist dieses nur über Aspekte des öffentlichen Wohls. So heißt es auch in der von Herrn Prof. Dr. Jörn Ipsen in meinem Auftrag beim Thüringer Verfassungsgerichtshof eingereichten Verfassungsbeschwerde auf Seite 26: „Gründe des öffentlichen Wohls“ im Sinne des Art. 92 Abs. 1 ThürVerf., die eine Gebietsreform zu rechtfertigen vermögen, liegen nur vor, wenn ein Landkreis seine Aufgaben nicht mehr sachgerecht erfüllen kann. Besteht dagegen an der Leistungsfähigkeit der Landkreise im Einzelnen kein Zweifel, so fehlt es an den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Gebietsreform.“ Gleiches gilt natürlich auch für die Gemeinden.

Die eigentlichen Ziele der Landesregierung und der sie tragenden gesetzgeberischen Mehrheit im Thüringer Landtag erhellen sich erst im „Thüringer Gesetz über die Grundsätze von Funktional- und Verwaltungsreformen“, welches zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist. Im Kern geht es darin um die Verlagerung bisheriger staatlicher Aufgaben auf die Landkreise. Etwas schärfer formuliert meint es die Verstaatlichung der Landkreise, deren bisherige gemeindliche Aufgaben zu den Gemeinden wandern sollen. Kommunal bleibt jedoch der Defizitausgleich der nicht gedeckten Kosten über die Kreisumlage. § 7 definiert die Einrichtung von möglichst gemeinsamen Bürgerservicebüros und zentralen Anlaufstellen staatlicher und kommunaler Aufgaben.

Eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung sieht anders aus. Mit Blick auf unsere noch greifbaren DDR-Erfahrungen erhebt sich für mich die Frage, inwieweit wir es hier tatsächlich mit einer Restauration untergegangen geglaubter Verhältnisse zu tun haben und ob diese politische Entwicklung überhaupt noch vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gedeckt ist. Die Entscheidung hierüber wird der thüringische Verfassungsgerichtshof treffen.

Doch – welcher Weg sollte jetzt aus meiner Sicht eingeschlagen werden? Ich meine, dass ein jeder erst einmal selbst seine eigenen Aufgaben erledigen muss, ohne diese - wie einen schwarzen Peter - einfach weiterzuschieben.Für die kreisliche Ebene muss daher gelten, dass eben dort Sanierungen zu erfolgen haben, wo diese angezeigt sind und eben in der Haftungsverantwortung des Landes, welches im Wege der eigenen Rechtsaufsicht die gegenwärtigen Finanzverhältnisse hat überhaupt erst entstehen lassen. Sollte es sich am Ende herausstellen, dass bestimmte Landkreise oder auch kreisfreie Städte nicht in eine selbsttragende Entwicklung geführt werden können, dann muss mit den benachbarten eine Übernahme auf deren gesunde Grundlagen verhandelt werden. Wie man dieses macht, lässt sich gerade aktuell an der Verschmelzung des Landkreises Osterode auf den Landkreis Göttingen gut verfolgen.

Und dennoch können auch solche Gebietsveränderungen nur als Ultima Ratio für den Fall angesehen werden, dass alle anderen Bestrebungen zur Sanierung eines angeschlagenen Landkreises erfolglos bleiben. Vorrang muss haben, dass sich die Kreisgliederung auch weiterhin an kulturellen und landschaftlichen Gegebenheiten innerhalb der thüringischen Landschaft ausrichtet, die sich bestenfalls in einem Werdungsprozess zu einem föderalen Staat befindet. Einem Rückfall in zentralistische Staatsideologiemuster der noch nicht lange untergegangenen DDR muss vorgebeugt werden.

Da unsere beiden benachbarten Landkreise Unstrut-Hainich und Nordhausen seit Jahren nur noch im Wege besonderer Finanzzuweisungen aus dem Landesausgleichsstock lebensfähig sind, bin ich
gespannt, welche Sanierungsschritte das Land zu gehen gedenkt. Sollte am Ende dieses Prozesses für einen dieser Landkreise ein Zusammengehen mit dem Eichsfeld unumgänglich sein, so erwarte ich dessen Verschmelzung auf unseren aktuellen Rechtsstatus.

Dem voraus gehen müsste eine genaue Definition der zu übernehmenden und auszugleichenden Aktiv- und Passivposten. Was darüber hinaus an Guthaben und Verbindlichkeiten nicht sauber dargestellt werden kann, muss dem Land als Gläubiger zufallen. Eine reine formale Zusammenlegung beider Vermögensbestände hielte
ich – schon bei dem, was ich nur ansatzweise weiß - für völlig unannehmbar, weil uns dieses – was zumindest für den Unstrut-Hainich-Kreis gilt - bis auf unsere Kindeskinder hin wirtschaftlich zerstören würde.

Würde also der vom Land geplante Zusammenschluss zwischen dem Landkreis Eichsfeld und dem Unstrut-Hainich-Kreis von heute auf morgen kommen, dann wären auch wir – bei korrekter Haushaltsführung - vom ersten Tag an wirtschaftlich tot.

Mit „öffentlichem Wohl“ hätte das für uns rein gar nichts zu tun. Gegebenenfalls müssten wir auch dieses vor Gericht - in einfachen Rechnungen und mittels vorliegender Prüfungsaussagen aus den Vorjahren - plausibilisieren. Gewinner eines solchen Vorgangs wäre nur das politische Land, welches – vielleicht bis zur nächsten Wahl – die Welt noch etwas schön reden würde, um sich, bei einem anderen Wahlausgang, selbst aus dem Staub zu machen. Auf den Folgen dieses Betrugs blieben wir jedoch allein sitzen und könnten uns davon dauerhaft nicht mehr erholen. Damit verbunden wäre der Einstieg in eine ähnliche strukturelle Verarmung, an welcher in der Tat der Unstrut-Hainich-Kreis bereits heute zu leiden hat.

Einen solchen Preis bin ich für meinen Teil überhaupt nicht bereit, zu bezahlen. Über die Gründe, die hierzu führten, sollten nicht wir im Detail zu befinden versuchen. Das müssen andere beim Land tun. Wir sollten uns aber auch nicht die dortige Verfasstheit in die Rechnung unserer eigenen kommunalen Selbstverwaltung stellen lassen.

Angesichts der bereits Jahrzehnte währenden und sich immer mehr aufsummierenden ständigen Liquiditätsprobleme insbesondere des Unstrut-Hainich Kreises kann ich mir deshalb heute auch überhaupt nicht vorstellen, dass ein so vergrößerter Landkreis Eichsfeld-Hainich seine erweiterte Arbeit mit dem Hinzukauf von neuen Immobilien, wie beispielsweise der Görmar Kaserne, beginnen könnte. Ich gehe davon aus, dass auch die aktuelle wirtschaftliche Lage sich schon wesentlich über ein äußerst schlechtes Immobilienmanagement der zurückliegenden Jahrzehnte herleiten lässt, deren Reihe durch den Hinzukauf der Görmar-Kaserne nur verlängert werden würde.

Auch wir hätten schlichtweg für solche Anschaffungen nicht das nötige Geld – den unnötig produzierten Leerstand inden jetzigen dezentralen Verwaltungsgebäuden mit eingerechnet. So stünde auch das hiesige gerade sanierte Landratsamtsgebäude mit einem Male leer. Unsere eigene passable Liquidität, die wir mit einbringen würden, müsste ohnehin erst einmal für die Finanzierung der täglich anfallenden Pflichtaufgaben genutzt werden.

Dass dabei die Politik im Unstrut-Hainich-Kreis noch den Mut hat, Forderungen auf die Zukunft aus Aufrechnungen gegen den kommunalen Landkreis Eichsfeld abzuleiten, ist schon ein starkes Stück. Schließlich hat eben diese Politik aller Beteiligten vor Ort die Misere des eigenen Gemeinwesens herbeigeführt, welche vom Land zugelassen wurde. Von uns muss rundum das Signal ausgehen, dass wir uns nicht in dieses Gespinst von Irrationalitäten hineinziehen lassen und gegebenenfalls dagegen auch weiterhin öffentlich protestieren müssen.

Über das Verhalten des Landes bin ich umso trauriger, als dieses Fusionsabsichten in das Schaufenster stellt, ohne sogleich konzeptionelle inhaltliche Lösungsangebote mitzuliefern. Wirkliche strategische Führung sieht anders aus. Grundvoraussetzung für solche Wünsche wäre die gleichzeitige Vorlage einer belastbaren Entwicklungs- und Finanzierungsstrategie durch das Land. Wenn man eine solche nicht im Petto hat, dann kann man auch dermaßen einschneidende Absichten nicht in den Raum stellen, die am Ende nur viele Menschen gegeneinander aufbringen. Sofern wir uns aber um die Problemlösung selbst Gedanken machen müssen, erwarte ich zumindest klare und belastbare Prüfungszahlen, ohne die jedwede Gespräche überhaupt keinen Sinn machen. Hier vertraue ich nur noch auf den Thüringer Rechnungshof und bin dankbar, dass er tätig geworden ist. Vielleicht bekommen ja auch wir zum Ende der gerade begonnenen Prüfung eine Ausfertigung seines neuen Berichtes.

Aber auch angesichts der vom Land propagierten künftigen Anlaufstellen für die Bürger wird man
davon ausgehen können, dass die jetzige Dezentralität unserer Verwaltungsstruktur durchaus gut ins Bild künftiger Herausforderungen passt. Für uns meine ich damit ganz konkret den Erhalt von Kreisverwaltung in Worbis und in Heiligenstadt. Wenn wir dann – nach vorher erfolgter Entschuldung des Unstrut-Hainich-Kreises durch das Land - noch in der Lage wären, den gegenwärtigen Sanierungsstau in den kreislichen Verwaltungsgebäuden in Mühlhausen und in Bad Langensalza – wo natürlich auch weiterhin Verwaltung vorgehalten werden muss - und sicher auch in vielen Schulen - zu beheben, dann hätten wir schon sehr viel erreicht.

Ob man im Zuge einer solchen Entwicklung dann überhaupt noch von einem „Kreissitz“ sprechen kann, lasse ich heute offen. Vielleicht lässt sich dieser heutige Streitpunkt später – richtigerweise – auf den Begriff „Sitz des Landrates“ eindampfen. In unserer Sparkasse pflegen wir das Modell der 4 Hauptgeschäftsstellen und fahren damit durchaus gut. Was darin an welcher Stelle bearbeitet wird, ist Angelegenheit der Geschäftsführung.

Für die Gemeindeebene muss es ebenso Modelle geben, welche den bis heute gewachsenen Gemeinden einen höheren Grad an Selbständigkeit erhalten, so dass sie gewissen Veränderungen in der Wahrnahme von Verwaltungsaufgaben auch zustimmen können.

Bis hierher halte ich schon einmal fest, dass – nach meinem Dafürhalten – das Land zwingend unsere Zustimmung im Wege eine Kreistagsbeschlusses braucht. Über so etwas braucht man aber nur nachzudenken, wenn zuvor alle für uns relevanten Fragen einvernehmlich gelöst sind. Sonst schließe ich das aus.

Sollte auf Landesebene nicht doch noch ein grundlegendes Umdenken einsetzen, so werde ich
selbst, zu gegebener Zeit, dem Land eine Verhandlungsofferte unterbreiten, welche das Ziel einer
gütlichen Einigung verfolgt. Diese sollte von dem Bemühen getragen sein, dass wir uns in einem unserer Nachbarlandkreise an der Findung einer Perspektive beteiligen, ohne die Rechtsnatur des Landkreises Eichsfeld infrage zu stellen. Für heute muss auch offen bleiben, ob dieses Unstrut Hainich oder Nordhausen ist.

Von den Bürgerinnen und Bürgern der beiden Nachbarlandkreise würde ich mir wünschen, dass auch sie bereit wären, diesen Weg mit zu gehen. Schließlich bietet dieser auch ihnen eher eine Gewähr, von der gut geordneten solventen Vermögensstruktur des Landkreises Eichsfeld mit zu profitieren und das Land in der Ausgleichsposition zu halten.

Den Landkreis Eichsfeld nur aus reinen kosmetischen Gründen mit in eine völlig ungerechtfertigte Auflösung durch den Gesetzgeber zu treiben, dürfte auch für sie kaum von Vorteil sein. Vielmehr bestünde die Gefahr, dass sich das Land mit einigen wenigen Almosen aus der Verantwortung für sie selbst herausstiehlt und die Bewältigung der unverschuldet ererbten Probleme ausschließlich dem Eichsfeld überlässt.

Überdies‘ wäre zu befürchten, dass die wirtschaftlich funktionierende kaufmännische Verwaltungsstruktur des Eichsfeldes unnötig beschädigt werden würde, unsere soliden Reserven bald aufgezehrt und die Altkreise in nur kurzer Zeit wieder in das gleiche Dilemma hineinliefen, an welchem gerade jetzt die beiden Nachbarlandkreise zerbrechen. Im Sinne des öffentlichen Wohls wäre also ein Eingriff in die insolventen Strukturen der beiden Nachbarlandkreise begründbar - eine ähnliche hingegen in die solvente des Landkreises Eichsfeld nicht.

In unseren eigenen Belangen waren wir immer gut beraten, uns an den gesunden Menschenverstand zu halten und uns nicht von den euphemistischen Animationen der zuweilen handlungsunfähigen politischen Herrschaften betören zu lassen. Ebenso war es auch heute vor 27 Jahren, als von Worbis und Teistungen aus - symbolträchtig - 40.000 Menschen in Richtung Duderstadt aufbrachen, um damit zu zeigen, dass sie den Beteuerungen der zusammenbrechenden DDR-Regierung keinen Glauben mehr schenkten. Dabei ging und geht es überhaupt nicht darum, wie staatlich realistisch ein Anschluss an Niedersachen war und ist.

Der Blick nach Hannover ist für uns ein geschichtliches Symbol, welches viel mit unserer Siedlungsstruktur zu tun hat und politisch bis zum Wiener Kongress zurück reicht. Was wir sind, hat vielleicht am treffendsten unser 1884 hier in Worbis geborener und 1957 in Heiligenstadt verstorbener Gymnasiallehrer und damaliger Vorsitzender des Vereins für eichsfeldische Heimatkunde Dr. Johannes Müller in einem - im Eichsfelder Heimatmuseum befindlichen - maschinengeschriebenen unveröffentlichten Manuskript festgehalten.

Darin heißt es: Das Eichsfeld „ist nicht Niedersachsen, nicht Hessen, nicht Thüringen, sondern als Bindeglied zwischen ihnen, das sich landschaftlich, volklich und kulturell merklich von seiner Umgebung abhebt; denn Länder und Stämme passen nicht immer und überall genau aufeinander, sondern lassen vielfach kleine und größere Übergänge und Bindeglieder übrig, so auch hier zwischen Harz und Thüringer Wald. Zum Vergleich könnte man die Schweiz, das Grenzland zwischen Deutschland, Italien und Frankreich, heranziehen.“

Weil dem so ist, macht sich auch unser Eichsfeldbild mit im Blick zu unseren niederdeutschen Landsleuten im Untereichsfeld fest, deren Entwicklung aus der preußischen Provinz Hannover in die politische Neuzeit hinein nun einmal glücklicher verlief als die unsrige aus der preußischen Provinz Sachsen. Das ist alles noch keine Ewigkeit her und sollte in seiner Bedeutung auch heute in Erfurt in einem uns gerecht werdenden Sinne verstanden werden.

Dafür brauchen wir uns weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen, denn auch dieses gehört zu uns. So hoffe ich, dass man in der Erfurter Staatskanzlei so langsam beginnt, eine Ahnung von unserem Wesen zu bekommen und eben auch die von uns dargestellten Inhalte nicht als Drohung ansieht. Vielmehr erwarte ich eine gewisse Form von Dankbarkeit für die von uns transportierte Beschreibung der Wirklichkeit, welche unseren jeweiligen Landesregierungen helfen möge, auch in unserem Sinne eine gute Arbeit zu machen.
Dr. Werner Henning, Landrat
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