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HABEN SIE SCHON? ODER WARTEN SIE NOCH?

Das Westpaket

Sonntag, 17. Dezember 2017, 08:00 Uhr
„Geschenksendung – Keine Handelsware“ muss darauf stehen. Sonst ist es nicht echt. Das galt übrigens auch für die Richtung von Ost nach West. Und nnz-Autor Jürgen Wiethoff hat einen Menschen kennengelernt, der auch heute noch mit seinen Verwandten im alten Westen zu Weihnachten dieser alten Tradition nachgeht. Auch mit einem Danksagungspaket...


Seine Westverwandten können den Wert des Paketes zwar nicht mehr von der Steuer absetzen, aber die inzwischen historische Freude ist immer noch groß. Manchmal schaut der DHL-Bote – wenn er denn auch schon etwas älter ist – misstrauisch auf die Jahreszahl. Da sieht man wieder: Auch alte Deutsche-Post-Ängste halten durch. Es könnte ja in irgendeiner Ecke der diversen damaligen Durchleuchter-Zimmer im Dunkeln etwas liegen geblieben sein.

Wie das immer duftete, wenn das Westpaket geöffnet wurde. Wie im Intershop, wenn man dort mal – rein interessehalber – im Dunkeln und nach vorherigem Umschauen auf der Straße, kurz reinschaute, um die beim letzten Besuch der lieben Verwandtschaft ergatterten überzähligen Forum-Schecks einzulösen. Ein paar waren übrig geblieben, nach dem der vor ein paar Wochen beauftragte Handwerker bei der Auftragserteilung wie erwartet gefragt hatte: „Forum geht’s denn?“

Aber es war nicht nur die Freude über Kaffee, allerlei Süßigkeiten, Südfrüchte, Wasch- und Pflegemittel und die üblichen Stollenzutaten. Ein Freund, Verwandter, Nachbar, guter Kollege hatte heraus gefunden und verraten, wie man Elektronikbauteile für den Empfang des ZDF oder später ganze PAL-Decoder für ZDF und ARD „In Farbe“ verpacken musste, damit sie dem wachsamen Horch und Guck nicht auffielen. ARD und ZDF waren damals im Osten kostenlos. GEZ – was issen das? Es war nicht alles schlecht.

Ein anderes Problem hatten Ossis und Wessis allerdings gemeinsam:
„Auf das niemand sie erkenne,
tarnt er listig die Antenne.
Um dann hämisch und durchtrieben,
(im Osten „West“, im Westen „schwarz“ einsetzen) zu sehen, meine Lieben.
Tut´s mit sichtlichem Genuss.
Und so kommt, was kommen muss:
Man packt ihn beim Schlafittchen.
Dann wandert er ins Kittchen.
(Einsetzen wie oben) hören und sehen,
kommt teuer zu stehen.“

Nur im Süden Sachsens hieß schließlich die zugehörige Quizfrage: Es ist 2 meter 20 lang und wenn´s klingelt, kommt´s in Kleiderschrank. Richtig hier Antwort A: Die Westantenne.

Ins Kittchen wegen Westfernsehen? Da muss man wohl schon Gemeinschaftsempfang einer Bundestagsdebatte organisiert haben. Aber eine Zeit lang gab es die Räumkommandos der FDJ, die gewissenhaft „den Ochsenkopf“ vom Dach holten, auch wenn man gar nicht darum gebeten hatte und die Antenne auf Torfhaus oder Hoher Meißner ausgerichtet war. Und Fragen vom Parteisekretär, Leiter des Kollektivs der sozialistischen Arbeit oder ähnlichen hochgestellten Persönlichkeiten musste man sich schon gefallen lassen.

Wer mittelreiche und liebe Westverwandte, -freunde hatte, fand auch zwischen Kaffee und neuer Marken-Jeans mal einen Reisegutschein für gemeinsamen Urlaub am Balaton, in Bulgarien oder Jugoslawien. Dann musste er die Freude aber erst mal auf 50 % zurückfahren, denn ihm fehlte noch die „Anlage für den visafreien Reiseverkehr“. Ohne diese Anlage keine Reise. Diese gab es erst zwischen Februar und April des kommenden Jahres. Auch für die DDR-Bürger, die nur Freunde oder Verwandte oder das Ferienheim des Partnerbetriebes in den genannten Ländern besuchen wollten. Merkwürdiges darüber zu berichten, würde den Artikel allerdings sehr verlängern.

Wer ganz reiche Westverwandte oder ein sehr erfolgreiches 2. Arbeitsverhältnis bei der größten „Firma“ der DDR hatte, war augenscheinlich arm dran. Kein Westpaket – nur Weihnachtskarten. Von den Nachbarn wurden sie oft bedauert, denn die kannten ja die „schweren“ Zwischenlagen in den Karten nicht. Die nannten sich Gutschein der Genex Geschenkdienst GmbH und waren vom Auto bis zum Fertighaus (Neckermann macht´s möglich) schon mal viele tausend DM wert. Wussten Sie schon, dass die Firma Genex bereits 1956 gegründet wurde? Wenn nein, sein Sie nicht traurig. Ich habe es auch gegoogelt.

Den schärfsten „Westpaket“-Witz hörte ich in der Eiszeit zwischen der Sowjetunion und der VR China. Ein guter Genosse, mehrfacher Aktivist der sozialistischen Arbeit, bester Agitator seiner Betriebsparteiorganisation, wird in der Vorweihnachtszeit zum Parteisekretär gerufen. Dieser spricht: „Genosse, Deine Arbeit in der Produktion und für unsere Partei schätzen wir sehr. Aber die Nachbarn haben erneut beobachtet, dass Du vor ein paar Tagen ein riesiges Westpaket bekommen hast. Du hast doch angegeben, dass du keine Westverwandten hast. Was hast Du dazu zu sagen?“
„Na, ich habe es dir doch schon oft erzählt. Wir haben in den letzten Kriegsjahren einen Juden mit seiner Familie vor der Gaskammer gerettet, indem wir sie in unserem Keller versteckt haben. Auf der Flucht nach dem Zusammenbruch hat es die in den Westen verschlagen und nun zeigen sie uns einfach immer mal wieder ihre Dankbarkeit. Ich kann sie doch nicht vor den Kopf stoßen.“
„Du musst doch aber auch mal an deine Zukunft denken.“
„Das tue ich, Genosse Parteisekretär. Wir haben schon seit ein paar Monaten eine chinesische Familie im Keller.“
Bewertung auf der nach oben offenen Witzeskala der DDR: Ein 2/3. Witz. 2 Jahre Knast für den, der ihn erzählt, 3 Jahre für die, die darüber lachen.

Allen nnz-Lesern ein frohes und gesundes Weihnachtsfest mit oder ohne Paket von Verwandten und Freunden, aus welcher Himmelsrichtung auch immer.
Jürgen Wiethoff
Autor: red

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