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Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche

Bistum Erfurt legt Zahlen vor

Dienstag, 25. September 2018, 16:59 Uhr
Auf dem Gebiet des 1994 gegründeten Bistums Erfurt haben im Zeitraum von 1946 bis 2014 zehn Priester Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Insgesamt gab es in dieser Zeit 948 Kleriker. Weitere Einzelheiten wie immer in Ihren Nordthüringer Online-Zeitungen...


Bei den Betroffenen handelt es sich um zehn Jungen und zwei Mädchen, die zum Tatzeitpunkt zwischen acht und zwanzig Jahre alt waren. Diese Angaben machte der Erfurter Generalvikar Raimund Beck bei einem Pressegespräch am Dienstag, 25. September. An diesem Tag hatte die Deutsche Bischofskonferenz die von ihr in Auftrag gegebene Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz (MHG-Studie)“ vorgestellt. Laut dieser Studie fanden sich bei 1.670 Klerikern Hinweise auf sexuellen Missbrauch von 3.677 Minderjährigen. Die Ergebnisse der Studie gingen „deutlich über das hinaus, was ich als Resultat befürchtet habe“, sagte Generalvikar Beck.

Die sogenannte MHG-Studie – benannt nach den Anfangsbuchstaben der Städte der beteiligten Forschungsinstitute – beschäftigt sich mit dem sexuellen Missbrauch durch Kleriker, also Bischöfe, Priester und Diakone. Beck gab darüber hinaus für das Bistum Erfurt auch Informationen zu Fällen sexuellen Missbrauchs durch Nichtkleriker. Demnach gab es von 1946 bis 2014 zwölf Beschuldigte, jeweils sechs Männer und Frauen, und 18 Betroffene, ebenfalls im Alter von acht bis zwanzig Jahren, nämlich drei Jungen und fünfzehn Mädchen. Von 2015 bis zum 25. September 2018, den Jahren nach dem zeitlichen Erfassungsraum der MHG-Studie, wurden im Bistum Erfurt keine weiteren Fälle sexuellen Missbrauchs, weder durch Kleriker noch durch Nichtkleriker, bekannt oder gemeldet.

Für die MHG-Studie wurden 38.156 Personal- und Handakten der deutschen Bistümer aus den Jahren 1946 bis 2014 durchgesehen. In einem Drittel der Bistümer seien alle Personalakten von Klerikern und männlichen Ordensangehörigen im Dienst der Diözese für diesen Zeitraum überprüft worden, erläuterte der Erfurter Generalvikar. Bei den anderen Diözesen seien alle Personalakten der im Zeitraum 2000 bis 2014 lebenden und zum Bistum zählenden Priester und Diakone (im aktiven Dienst und pensioniert) sowie von männlichen Ordensangehörigen im aktiven Dienst der Diözese gesichtet worden. „Unser Bistum Erfurt gehörte nach Entscheidung des Forschungskonsortiums zu dieser zweiten Gruppe. Bei uns wurden insgesamt 268 Personalakten durchgesehen“, sagte Beck. Dabei fanden sich in diesen Akten keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch. Anzeichen für Aktenvernichtung oder -manipulation gab es ebenfalls nicht. Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch Kleriker oder Nichtkleriker verdankten sich im Bistum Erfurt allein den Betroffenen, die sich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche beim Bistum gemeldet hatten, wobei sich die Mehrzahl der Taten im Zeitraum bis 1980 ereigneten.

Als das Bistum Erfurt von den Taten der zehn beschuldigten Priester erfuhr, waren sieben bereits verstorben. Daher hätten nur drei Fälle der Staatsanwaltschaft und der zuständigen vatikanischen Behörde (Glaubenskongregation) in Rom gemeldet werden können. „Durch die Staatsanwaltschaft wurden in zwei Fällen Verfahren eingeleitet. Eines dieser Verfahren wurde wegen Verjährung eingestellt. Im zweiten Verfahren verstarb der Beschuldigte vor Abschluss des Verfahrens“, führte Generalvikar Beck aus. Die römische Glaubenskongregation habe in einem der gemeldeten Fälle ein kirchliches Strafverfahren veranlasst. Dieses endete mit einem Strafurteil und Auflagen für den Priester. Er dürfe, sagte Beck, keine pastorale Tätigkeit mehr ausüben, keine öffentliche Gottesdienste feiern und müsse turnusmäßig an Reflexionsgesprächen teilnehmen.

Im Bistum Erfurt haben bisher achtzehn Betroffene Anträge auf materielle Anerkennung des erlittenen Leids gestellt. Insgesamt seien 61.000 Euro ausgezahlt worden, trug der Erfurter Generalvikar vor. Wie es die von den deutschen Bischöfen beschlossenen „Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde“, vorsehen, hat die Diözese Erfurt allen Betroffenen zugesagt, Therapien finanziell zu unterstützen. Dieses Angebot sei bislang für 120 Therapiestunden in Anspruch genommen worden, so Beck.

„Jede der begangenen Taten ist eine zu viel“, sagte der Generalvikar gleich zu Beginn des Pressegespräches und bat die von sexuellem Missbrauch Betroffenen um Entschuldigung. Er unterstrich, dass „wir die Ergebnisse der Studie im Bistum Erfurt, sobald sie uns im Ganzen vorliegen, intensiv studieren und prüfen, welche weiteren Konsequenzen sich für uns daraus ergeben müssen.“ Laufende Bemühungen und Projekte im Bereich der Prävention von sexuellem Missbrauch würden konsequent weitergeführt und in Hinsicht auf die Ergebnisse der Studie evaluiert. Diese Notwendigkeit stellt auch der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr in einem „Brief an die katholischen Christen im Bistum Erfurt“ heraus, der am kommenden Wochenende (29./30. September) in allen Gottesdiensten verlesen wird. „Es ist jetzt offensichtlich, wie wichtig die Maßnahmen zur Verhinderung von solchen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche sind“, heißt es in dem Brief.

Wie alle Diözesen in Deutschland steht das Bistum Erfurt in Sachen Prävention nicht am Anfang. Neben zwei unabhängigen Missbrauchsbeauftragten, die als Ansprechpartner für Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs zur Verfügung stehen, gibt es im Bistum Erfurt eine Präventionsbeauftragte. Sie sorgt dafür, dass Priester, hauptamtliche Mitarbeiter in der Pastoral und Ehrenamtliche geschult werden. In der Ausbildung von Priestern und Gemeindereferenten sind mittlerweile Lehrgänge zur Wahrnehmung und Prävention von sexuellem Missbrauch selbstverständlicher Bestandteil. Haupt- und nebenamtliche pastorale Mitarbeiter sowie Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit müssen erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen und sich schriftlich zu einem achtsamen und korrekten Umgang mit Kindern und Jugendlichen wie auch zur Prävention von Missbrauch verpflichten.

All das macht das Leid nicht geringer, das junge Menschen durch den sexuellen Missbrauch erfahren haben. Generalvikar Raimund Beck ist darum dankbar, „dass die Bischöfe die Studie mit dem Ziel initiiert haben, nicht nur Vergangenes zu erfassen, sondern von außen darauf schauen zu lassen, welche Faktoren und Bedingungen innerhalb der Institution und den Strukturen von Kirche diese Untaten begünstigten und immer noch begünstigen.“ Aufarbeitung und Prävention sexuellen Missbrauchs in der Kirche sind das Gebot der Stunde. Ein Anfang ist gemacht.
Autor: nnz

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