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Nicht Eintagsfliege, aber verantwortungsbewusst?

Sonnabend, 13. Juli 2019, 08:56 Uhr
Der NS-Blockwart konnte ein netter Nachbar sein. Ein als Stasi-Spitzel enttarnter Kollege galt dennoch als hilfsbereiter Mensch. Wie verhält es sich mit einem biederen AfD-Mitläufer, wenn Gemäßigte und Rechtsextreme an der Pateispitze um den Kurs ringen? fragt nnz-Leser Martin Roland...


Am Anfang war die AfD eine honorige Partei älterer Honoratioren und jüngerer Idealisten. Aber ihre Leitfiguren wie Bernd Lucke und Frauke Petry wurden von der tumben Masse verdrängt. Mit dem wachsenden Erfolg bei Wahlen verschärfte sich der innerparteiliche Richtungsstreit. Ausschlussverfahren verliefen im Sande; Austritte nahmen unlängst in großer Zahl zu.

„Das haben wir nicht gewusst“, war früher die geläufige Sentenz, um sich von Unrechtsregimen zu exkulpieren. Auf die demokratisch legitimierte AfD trifft das heute nicht zu. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz steht unter dem Vorbehalt: Im Zweifel für die Verdächtigte. Nicht unberechtigt sind jedoch Besorgnisse, wohin ein rechtsradikaler Kurs führen könnte.

Diese Sorge wird umso größer, je stärker einige Scharfmacher auftrumpfen und der so genannte „Flügel“ hohe Wellen schlägt. Nichts gegen einen gesunden Nationalstolz, wenn er nicht wie unter Wilhelm II. und Adolf, in Größenwahn umschlägt. Umso mehr gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Leugnung oder Verharmlosung dunkler Kapitel deutscher Geschichte.

Zur Nagelprobe kam es im Stadtrat von Weimar, als die Amtsträger den obligatorischen „Buchenwald-Eid“ ablegten: „Nie wieder Krieg. Nie wieder Leid. Nie wieder Faschismus.“ Auch die Fraktion der AfD stimmte zu. Gespannt wird erwartet, ob einer von ihr den Vorsitz im Kulturausschuss erhält. Überregionale Medien (Deutschland-Funk, MDR, „Welt“) warnen davor. Helmut Seemann, Direktor der Klassik-Stiftung Weimar, meint: „Für Protestwähler wird die Partei durch diese Debatte noch interessanter.“

Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall stehe Deutschland wieder vor einer politischen Wendezeit, erklärte der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke. Erbärmliche Apparatschiks regierten uns. „Angela Mer-kel unterscheidet sich nicht mehr von Erich Honecker.“ Die Wirtschaft sei ein Wrack, die Städte Brutstätten der Kriminalität und die Bundeswehr eine „multikulturalisierte Eingreiftruppe der USA“. Dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD, sagte er kürzlich in Dresden. Empörung hatte seine frühere Äußerung ausgelöst: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige der Welt, das sich ein Denkmal der Schande (für die Holocaust-Opfer) in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“
In Sachsen scheint sich eine „Volksfront“ der „Altparteien“ gegen die AfD vor der Landtagswahl im Herbst zu bilden. Durch gemeinsame Kandidaten soll ein Durchmarsch der AfD bei den Direktmandaten verhindert werden, nachdem der Landeswahlausschuss deren Landesliste zusammengestrichen hat. Das bestärkt ein Vorurteil von AfD-Wählern, so wolle das „Kartell“ den „Widerstand“ an der Wahlrune brechen.

Alexander Gauland, Vorsitzender der „Alternative für Deutschland“, bekannte dieser Tage: “Ich sehe die Auseinandersetzungen in einigen Landesverbänden mit Sorge. Es kann auf Dauer nicht gut gehen, wenn der Streit in der Partei mehr Raum einnimmt als die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner.“ Eine Unterwanderung der Partei durch Rechtsextremisten gebe es jedoch nicht. Antsemitische Äußerungen und fremdenfeindliche Ausrutscher tat er als „Uralt-Fälle“ ab.

Am heftigsten sind die Konflikte in den westdeutschen Landesverbänden, nämlich in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Dort sind auch die meisten Austritte gemäßigter Mitglieder zu verzeichnen. In Düsseldorf ist der Vorstand gespalten – nur Anhänger des rechtsnationalistischen Flügels des umstrittenen Björn Höcke blieben im Amt. An dessen Kyffhäuser-Treffen nahm Gauland kürzlich teil.

Er erklärte: „In der Partei gibt es Mitglieder, die eine absolute Meinungsfreiheit auch noch verteidigen, wenn uns Aussagen schaden. Als Parteivorsitzender warne ich vor einer solchen Haltung.“ Dies dürfte in den Wind gesprochen sein; in den meisten Fällen seiner Beschwichtigung haben sich die Rechtsradikalen nicht daran gehalten. Aktuelles Beispiel: In Schleswig-Holstein wurde Doris von Sayn-Wittgenstein zur Landesvorsitzenden gewählt, obwohl der Bundesvorstand sie als Holocaust-Leugnerin ausstoßen wollte. Jörg Meuthen, der andere AfD-Vorsitzende, sagte: Ich kann den erheblichen Unmut über Höcke nachvollziehen. Ich teile diesen Unmut.“ Höcke betreibe einen Personenkult, das „passt nicht zu unserer Partei“.

In einem Appell von hundert Funktionären der Partei sagte er in Leinefelde: „Die AfD ist und wird keine Höcke-Partei.“ Darauf erwiderte Höcke: „Im November wird ein anderer Vorstand gewählt.“ Organisator der „Flügels“ ist Andreas Kalbitz, Landesvorsitzender in Brandenburg, wo die AfD neue Wahlerfolge wittert. Die Wähler der AfD haben dieser Partei einen Vertrauensvorschuss gegeben, der in einer Legislaturperiode eingelöst werden muss – ob im Bundes- oder Landtag, ob im Kreistag oder Stadtrat. Schon bald dürfte sich herausstellen, ob die neue Formation tatsächlich eine Alternative zum existierenden Politikbetrieb abgibt. Eines steht allerdings bereits heute fest: Die AfD ist keine „Eintagsfliege“ wie andere Polit-Aspiranten vorher.

Das verpflichtet ihre Mandatsträger mehr als die abschreckenden Einpeitscher zu konstruktiver Oppositions-, statt plumper Obstruktionspolitik.#
Martin Roland
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Autor: red

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