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Ein Situationsbericht zum Thema Coronavirus

Freiwillig 14 Tage Quarantäne auferlegt

Donnerstag, 27. Februar 2020, 09:27 Uhr
Mitte Januar sind wir für drei Wochen zu unseren Enkeln nach Changchun/ China geflogen. Tochter und Schwiegersohn hatten sich zum 10 km-Lauf bzw. zum Marathonlauf in Dubai angemeldet. So verlebten wir eine schöne Zeit mit unseren drei Enkeln bei minus 25 Grad, sehr viel Schnee und strahlend blauem Himmel. Doch dann kam es anders. Ein Bericht von Gisela Reinhardt...

Plötzlich wurden wir mit den Nachrichten zum Coronavirus konfrontiert und erlebten Straßensperren, Temperaturmessungen und eine Stadt im Ruhemodus. Auf abenteuerliche Weise mit Nachtzug und zahlreichen abgesagten und umgebuchten Flügen sind wir wieder in Deutschland gelandet.

Nachdem wir gesund und munter von China zurückgekehrt sind und uns 14 Tage ohne Kontakt zur Außenwelt im Haus verschanzt haben, ist es mir wichtig, einen kleinen Situationsbericht zu geben.

Auf der Heimreise (Foto: Gisela Reinhardt) Auf der Heimreise (Foto: Gisela Reinhardt)

Täglich landen zahlreiche Flugzeuge aus China in Deutschland. Hunderte von Menschen fahren vom Flughafen nach Hause, in ihr Leben, zu ihrer Arbeit, in die Öffentlichkeit. Niemand registriert sie, niemand fragt sie, niemand bekommt ein Merkblatt mit Verhaltenshinweisen, niemand misst die Temperatur. Keinen interessiert es - zumindest haben wir es so erlebt.

Viele Leute wussten von unserem Chinaaufenthalt und teilten uns ihre Angst mit. Jeder war davon überzeugt, dass wir selbstverständlich eine Quarantäne zu machen hätten. Wir wurden pauschal als Ansteckungsgefahr gesehen. Man geht davon aus, dass jeder krank ist, der aus China kommt.

Nein, wir kamen aus keinem Risikogebiet, es gab keinerlei Hinweise oder Auflagen. Um des lieben Friedens willen und aus Respekt vor der Angst der Menschen hier, haben wir freiwillig von uns aus Quarantäne gemacht. Es geht uns allen gut. Uns ist nichts passiert, Gott sei Dank!

Unsere Tochter ist mit ihrer ganzen Familie mit uns nach Deutschland zurückgekommen. Niemand weiß, wann die Schule wieder öffnet. Ein Teil der Familien aus dem deutschen Dorf in Changchun sind ebenfalls in ihre Heimatländer zurückgefahren. Wenn jetzt jemand denkt, dass Schulausfall Ferien bedeutet, weit gefehlt.

Jeden Tag sitzen unsere Enkel von morgens bis abends an den Aufgaben. Jeder Fachlehrer schickt jeden Tag Aufgaben, mit Zeitvorgabe, wann die erledigten Aufgaben zurückgeschickt werden müssen. Das Zeitfenster ist sehr eng. Kommt eine Aufgabe zu spät an, werden sofort die Eltern informiert. Es gibt Videokonferenzen, in denen alle Schüler der jeweiligen Klasse mit dem Fachlehrer per Video Unterricht machen.

Bedenkt man die Zeitverschiebung (China ist 7h weiter als wir) und die Schüler, die in anderen Ländern vor ihren Aufgaben sitzen, klingt es überzeugend, wenn die Schule sagt, dass die Lehrer 24h verfügbar sind. Das ist sowohl in der Deutschen Schule, als auch in der Internationalen Schule so.
Selbst der Kleinste, der den amerikanischen Kindergarten besucht, bekommt Aufgaben geschickt, die er erfüllen muss. Ansonsten ist seine Einschulung im September gefährdet.

Derweil hat sich die Lage in Changchun ebenfalls verändert. Alle öffentlichen Parks sind gesperrt. Die Straßen sind fast menschenleer. Seit 9.2.2020 gibt es eine Anordnung bei der Benutzung von Taxi oder öffentlichen Verkehrsmitteln über die Erfassung persönlicher Daten. Beim Betreten z.B. eines Busses, muss sich jede Person mit ihrem Handy über einen QR-Code im Fahrzeug identifizieren.

In einem täglichen Report wird öffentlich mitgeteilt, wer sich in der Region infiziert hat, mit Name, Adresse, Zeiten und Orten, an denen derjenige sich aufgehalten hat, damit jeder für sich selbst prüfen kann, ob es einen Kontakt gegeben hat. Die Geschäfte sind geschlossen. Lebensmittelmärkte öffnen für vier Stunden.

Überall werden Temperaturmessungen vorgenommen. Am Eingang eines jeden Geschäftes, Hotels oder Gemüsemarktes steht eine vermummte Person, die mit einem Infrarot Thermoscanner die Temperatur von jedem Besucher misst und für sofortige Händedesinfektion sorgt.

An Bahnhöfen und Flughäfen stehen riesige Körpertemperaturscanner, an denen niemand vorbeikommt. Man geht im Gänsemarsch mit Abstand hintereinander und hat Herzklopfen, dass ja alles in Ordnung ist. Alle Menschen tragen Mundschutz, im Flieger selbst die Stewardessen und Piloten.

Die meisten Chinesen tragen zusätzlich Gummihandschuhe. Niemand möchte krank werden.
Auch, wenn jeder seine eigene Meinung hat zu einem Land wie China, die Vorstellung eine solche Katastrophe hier in Deutschland zu erleben – Horror. Außergewöhnliche Situationen erfordern eben außergewöhnliche Maßnahmen.

Wenn erst gefragt werden muss, ob man einverstanden ist, dass die Temperatur überprüft wird, oder persönlichen Daten beim Busfahren angegeben werden sollen, und wir erst Wochen lang über Datenschutz diskutieren, möchte ich mir die Folgen nicht ausmalen.

Von den 7,2 Milliarden Menschen auf der Welt, leben rund 1,4 Milliarden Menschen in China. Damit ist China das bevölkerungsreichste Land der Welt. Da ist es nicht ungewöhnlich, wenn uns die hohe Zahl der infizierten Menschen erschreckt.

Wir konnten die Situation in China vor Ort erleben und wir haben Hochachtung davor, was dort auf die Beine gestellt wird, um der Krankheit zu begegnen, davor, wie diszipliniert die chinesischen Menschen sich verhalten und was technisch in so kurzer Zeit möglich gemacht wurde. Es ist verständlich, dass Angst herrscht, gerade bei der Berichterstattung in den Medien.

Bei aller Angst und Sorge dürfen wir nicht vergessen, wenn von Zahlen und Fällen die Rede ist, dass es sich um Menschen handelt. Menschen, wie du und ich. Menschen, die Angst haben, deren Familien um sie bangen, die ungewollt in eine solche Situation gekommen sind. Wir für uns haben durch diese Krisensituation eine Erfahrung machen können, die uns erschreckt hat.

Selbst Freunde und Bekannte haben uns 14 Tage gemieden und diese Quarantäne ohne Grund selbstverständlich von uns erwartet. Es gibt den schlimmen Begriff Coronarrassismus, der nicht nur Asiaten betrifft. Wie fühlen sich Menschen, für die das böser Alltag ist?
Gisela Reinhardt
17. Februar 2020
Autor: ik

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