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Die Bundeshauptstadt soll autofrei werden

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Sonnabend, 20. Februar 2021, 14:00 Uhr
Die Berliner sind bekanntlich immer für eine Überraschung gut. Sie besingen nicht nur ihre eigene Luft, sondern wollen die nun auch durch drastische Verbote verbessern. Zwölfmal Autofahren im Jahr muss ihnen bald reichen. Eine Betrachtung von Olaf Schulze …


In Berlin will eine Initiative von Aktivisten den privaten Autoverkehr auf zwölf Fahrten pro Jahr beschränken. Innerhalb des hauptstädtischen S-Bahn-Ringes soll das Verbot möglichst schnell Anwendung finden. Dazu wurde von den Antragstellern am Donnerstag ein Gesetzentwurf vorgelegt.

So ungewöhnlich und exotisch diese Forderung klingt, so begeistert und interessiert springen doch die Medien darauf. Auch in der Politik wird das Ansinnen ernsthaft diskutiert. Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (GRÜNE) diktierte dem Berliner Tagesspiegel in den Notizblock: „Das Vorhaben der Volksinitiative, eine weitgehend autofreie Innenstadt per Gesetz einzuführen, ist juristisch hochkomplex.“ Ergänzend merkte sie an, es gelte nun, den fast fünfzigseitigen Gesetzentwurf zu prüfen.

Darin heißt es, dass Bürger „bis zu zwölfmal im Jahr“ ein Kraftfahrzeug privat nutzen dürften. Doch nicht zum Vergnügen, sondern „zum Transport schwerer oder sperriger Güter oder für Urlaubsfahrten“. Nach Ablauf von zehn Jahren wird die Zahl der erlaubten Fahrten, geht es nach den Antragstellern, auf sechs halbiert. Ausnahmen formuliert der Entwurf der Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ für die Busse des öffentlichen Nahverkehrs, für den Lieferverkehr, für Rettungsdienste, Polizei und Feuerwehr oder „mobilitätseingeschränkte Menschen“.

Umsetzen wollen die Aktivisten den Gesetzentwurf mit Hilfe eines Volksbegehrens. Von April bis September will das Bündnis die nötigen 20 000 Unterschriften für die Einleitung eines Volksbegehrens sammeln. Sollte sich das Berliner Abgeordnetenhaus das Anliegen nach einer erfolgreichen Unterschriftensammlung nicht sofort zu eigen machen, wollen die Initiatoren 2022 das eigentliche Volksbegehren anstreben. Kommen dabei die erforderlichen rund 170 000 Unterschriften zusammen, stünde 2023 ein Volksentscheid an, der wie eine Wahl abläuft.

Mit einem Autoverzicht verbindet die Initiative eine erhöhte Lebensqualität. „Wir möchten, dass die Menschen bei offenem Fenster schlafen können und Kinder wieder auf der Straße spielen“, begründete eine Sprecherin. „In Berlin sind zu viele Autos auf der Straße und verschmutzen die Luft durch Reifenabrieb, belegen viel zu viel Platz und gefährden unnötig Menschenleben – egal ob Elektro oder Diesel." Das betroffene Areal für den Antrag umfasst 88 Quadratkilometer und wäre dann die größte autoreduzierte Innenstadt der Welt.

Bettina Jarasch, die Berliner Spitzenkandidatin der Grünen, bezeichnete die Initiative als „Rückenwind für die gemeinsame Sache“, obwohl sie offiziell einen anderen Weg favorisiert. Die Grünen wollten „attraktive Angebote“ machen und den ÖPNV-Ausbau und die Erhöhung der Taktung vorantreiben. Wie eine klare Ablehnung der Initiative „Berlin autofrei“ hört sich das allerdings nicht an.

Auch die Linkspartei unterstützt das Ansinnen. In ihrem Zentralorgan „nd“ (ja, es handelt sich um das „Neue Deutschland“ mit einem modernen Anstrich; und ja, das gibt es noch) jubeln sie schon in der Titelzeile „Her mit der autofreien City“. Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, verteidigt das Fahrverbot und bekräftigt: „Dafür sehen wir es, so wie die Initiative auch, als notwendig an, den Ausbau des ÖPNV erheblich zu beschleunigen.“

Diese private Initiative einzelner Aktivisten, die zu einer massiven Einschränkung oder Umwidmung von bisherigen Bürgerrechten führen wird, ist letztlich eine konsequente Entwicklung in der sozialistisch regierten Hauptstadt. Schließlich hat hier, anders als in Thüringen, ein rot-rot-grünes Bündnis eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Die Antragsteller werden davon ausgehen, dass diese Mehrheit auch den Volksentscheid zum Erfolg verhelfen wird. Die großangelegte Veröffentlichung und die enorme mediale Anerkennung des Fahrverbotsantrags spricht zudem eine deutliche Sprache und bestärkt die Initiative.

Empfehlenswert wären für die spätere Einhaltung und Überwachung des „Projekts“ genaueste Studien zu betreiben, wie einst die SED ihre Grenzbestimmungen mit dem damaligen Westberlin gehandhabt hat. Da lässt sich sicherlich noch einiges an Verboten finden und ergründen, wie zu verhindern ist, dass renitente Bürger heimlich eine dreizehnte Zusatzfahrt im Jahr unternehmen.

Vermutlich will auch niemand der Antragsteller in klimafeindlichen Eigenheimen wohnen. Hier bieten sich in einem dann autofreien Berlin langgezogene Baracken als Beherbergungsstätten an. Aber natürlich vertikal und ohne Fahrstuhl, um die Umwelt nicht über Gebühr zu belasten oder gar überschüssiges CO2 zu produzieren.

Wenn andere Regionen jetzt neidisch werden auf so viel Innovation und sich ähnlich viel Fortschritt wünschen, wie die Berliner bald haben werden, müssen die Bewohner nur bei der nächsten anstehenden Wahl ihr Kreuz an der richtigen Stelle setzen. Gelegenheiten dafür gibt es einige, denn es finden ja einige Urnengänge statt in diesem Jahr.
Olaf Schulze
Autor: osch

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